In Zeiten der Corona-Pandemie versuchen alle Berliner Bezirke so gut es geht, durch die Krise zu kommen – sollte man meinen. Eine unrühmliche Ausnahme bildet leider der Bezirk Tempelhof-Schöneberg: dort wird nicht nur die Digitalisierung der Kommunalpolitik, unter Inkaufnahme von erheblichen Gesundheitsrisiken, durch die SPD-Fraktion torpediert. Auch die bezirkliche Verwaltung übt sich in der Aufstellung absurd anmutender Ideen: während der rot-rot-grüne Senat den Weg für BVV-Sitzungen per Videokonferenz frei gemacht hat und dieser in elf Bezirken bereits weitgehend praktiziert wird, steht das Rechtsamt in Tempelhof-Schöneberg auf dem Standpunkt, dass Sitzungen in dieser Form unzulässig wären!
 
Die FDP-Fraktion findet, dass dieses Vorgehen höchst problematisch ist und letztlich zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger sowie der vielen insbesondere kleinen und mittelständischen Betriebe im Bezirk geht, die in der aktuellen Lage mehr denn je auf schnelle und unbürokratische Unterstützung seitens der bezirklichen Verwaltung und der Bezirkspolitik angewiesen sind.
 
Wir haben uns daher auf „Spurensuche“ begeben und konnten, nach intensiver Recherche und im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus der Bezirkspolitik, eine mögliche Erklärung finden. Die Ergebnisse möchten wir den Menschen im Bezirk nicht vorenthalten:
 
Kurz gesagt scheint es so, dass innerparteiliche Querelen und Ränkespiele im SPD-(Partei)-Bezirk Tempelhof-Schöneberg, zu dessen Mitgliedern sowohl der derzeitige regierende Bürgermeister, Michael Müller, als auch der SPD-Bundes-Vize und Jungsozialist, Kevin Kühnert, zählen, nun im Rathaus und damit mittelbar auf dem Rücken der Menschen in unserem Bezirk ausgefochten werden.
 
Klingt auf den ersten Blick wenig plausibel – das dachten wir auch. Dann sahen wir genauer hin und erkannten, dass diese Erklärung für die seltsamen Vorgänge durchaus nachvollziehbar ist. Der Grund dafür wird schnell klar, wenn man den Blick auf die beiden Protagonisten, Müller und Kühnert, richtet. Klar ist, dass Beide im kommenden Jahr 2021 in den Deutschen Bundestag wollen. Klar ist aber auch, dass es im Bezirk nur ein Mandat geben wird, was zu der Frage führt: Müller oder Kühnert?
 
Während Michael Müller eher ein Kandidat der SPD-Mitte ist, gilt Kühnert, ebenso wie der SPD-(Partei)-Bezirk Tempelhof-Schöneberg und große Teile der SPD-Fraktion in der BVV als sehr weit linksstehend. Da liegt es nahe, will man denn Kühnert als Kandidaten durchsetzen, sich zu profilieren um eine Art „Hausmacht“ aufzubauen. Und all das wäre auch nicht weiter zu diskutieren – wenn es nicht auf Kosten der Handlungsfähigkeit der Bezirkspolitik und damit auf dem Rücken der Menschen in unserem Bezirk geschehen würde.
 
Bemerkenswert ist das Agieren bzw. Agitieren der SPD-Fraktionsvorsitzenden in der BVV, Höppner. Als die Pandemie Deutschland erreichte und die März-Sitzungen aller BVVen in Berlin abgesagt waren, suchte man auf Seiten des Senats nach pragmatischen Lösungen. Schließlich heißt es im Bezirksverwaltungsgesetz, dass nur eine Sitzung ausfallen darf, die darauffolgende aber stattfinden muss. Hier kam die Lösung mittels Videokonferenz ins Spiel und wurde durch den Senat offiziell nicht nur gebilligt, sondern ausdrücklich empfohlen.
 
Tags darauf begann der Widerstand der SPD-Fraktion in der BVV, angeführt durch die Vorsitzende Höppner – wohlgemerkt gegen einen Beschluss desjenigen Senats, in dem die SPD den regierenden Bürgermeister stellt und ohne, dass das Thema schon besprochen worden wäre! Man könnte meinen, es sei ein Stück aus dem Tollhaus – Bezirks-SPD opponiert gegen Landes-SPD – aber dies war erst die Auftaktveranstaltung.
 
Reinhard Frede, Vorsitzender der FDP-Fraktion in der BVV, meint zu diesem Vorgang; „Anfangs war ich nur verwundert. Wir wollten schließlich alle wieder tagen, fraktionsübergreifend, und das gerade auch wegen der besonderen Lage, die eben besondere Lösungen erfordert. Es hat jede Fraktion Mitglieder, die gleichzeitig Teil der CoVid-19-Risikogruppe sind.“
 
Er ergänzt weiter: „In den folgenden Tagen trat die SPD-Fraktionsvorsitzende Höppner immer aggressiver mit ihrer kategorisch ablehnenden Haltung auf. Das machte mich schon stutzig, zumal es ja durch den Senat gebilligt war, der aus unserer Sicht und bei all unserer berechtigten Kritik, hier endlich mal einen Schritt in die richtige Richtung unternommen hat.“
 
In den folgenden Tagen wurde im Kreis der Verordneten diskutiert und um Lösungen gerungen, die durch die SPD-Fraktion in der BVV allesamt vehement zurückgewiesen wurden. Auch der BVV-Vorsteher, Böltes (SPD), eigentlich zu überparteilichem Handeln verpflichtet, hatte seiner Genossin Fraktionsvorsitzenden offenkundig nichts entgegenzusetzen und handelte ganz als treuer SPD-Parteisoldat.
 
Das eigentliche Stück aus dem Tollhaus folgte nach diesem schier unglaublichen Auftakt einige Tage später: das bezirkliche Rechtsamt preschte mit der abenteuerlichen These vor, alle Beschlüsse, die in einer Video-BVV gefasst würden, müssten nachher beanstandet und somit de facto für nichtig erklärt werden. Zu diesem Zeitpunkt hatten andere Bezirke bereits Sitzungen per Videokonferenz beschlossen – ohne Einreden der dortigen Rechtsämter oder gar der Bezirksaufsicht!
 
Ein einmaliger Vorgang, der überregional in der Presse aufgegriffen wurde, ebenso wie die unmittelbare Folge aus diesem Fiasko: die Absage der April-BVV. Ebenfalls ausführlich in der Presse behandelt und durch die SPD-Fraktion mit öffentlich gespielter Empörung „zelebriert“!
 
So absurd es ist, wenn sich ein Bezirk gegen elf andere Bezirke und den Senat stellt, so einleuchtend erscheint die Erklärung: Tempelhof-Schöneberg ist seit langen Jahren ein „roter“ (SPD) Bezirk; das Bezirksamt mit zahlreichen „Genossinnen“ und „Genossen“ bzw. der SPD nahestehenden Personen durchsetzt. Die politische Meinung des Rechtsamtsleiters Dr. Discher oder dessen Parteibuch, so er eines besitzt, kennen wir nicht und sie soll hier auch keine Rolle spielen.
 
Es genügt an dieser Stelle einzig der Hinweis darauf, dass ein Beamter wie Herr Dr. Discher weisungsgebunden ist. Stark vereinfacht könnte man sagen, was von „oben“ bei ihm „bestellt“ wird, hat er so auch „zuzubereiten“. Die Leiterin der Verwaltung ist übrigens „Genossin“ Angelika Schöttler als Bezirksbürgermeisterin. Zudem stellt die SPD den Stadtrat mit den umfangreichsten Kompetenzen im Bezirk. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
 
Selbst der Koalitionspartner der SPD-Fraktion, die Grünen, von deren Seite die tendenzielle Bereitschaft zur BVV per Videokonferenz erkennbar war, wurden von der SPD-Fraktion durch einen nicht ganz nachvollziehbaren Angriff auf ihre Stadträtin Heiß abgestraft, was unser Fraktionsmitglied André Stammen so kommentiert: „Ich bin mit zahlreichen Maßnahmen von Stadträtin Heiß nicht eiverstanden, aber sie wegen der Radwegplanung anzugreifen ist unbegründet – sie hat aktuell 32 Einzelmaßnahmen in Bearbeitung!“
 
Mal angenommen, all diese Ränkespiele, Sonderwege und Irrfahrten, betrieben von der bezirklichen SPD, ausgeführt durch die SPD-Fraktion in der BVV zwecks öffentlicher Profilierung, würden nur deshalb erfolgen, damit im Jahr 2021 der Jungsozialist Kühnert seinen Platz im Deutschen Bundestag bekommen darf…
 
Dazu sagen wir: Die Menschen im Bezirk haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer in dieser aktuellen Lage so skrupellos auf ihrem Rücken agiert, um innerparteiliche Kämpfe auszutragen!
 
Damit muss Schluss sein – zum Wohle der Menschen und der Wirtschaft im Bezirk, gerade jetzt, wo schnelle Hilfe und unbürokratisches Handeln das Gebot der Stunde und die Leitlinie einer jeden bezirkspolitisch engagierten Person sein muss!
 
Wir als Freie Demokraten möchten das bestmögliche für die Bevölkerung wie auch die Wirtschaft im Bezirk tun. Daher fordern wir die SPD-Fraktion auf, unverzüglich wieder auf den Boden der Bezirkspolitik zurückzukehren und sich konstruktiven Lösungen nicht länger zu verweigern.
Berlin, 13. Mai 2020
Die Fraktion der Freien Demokraten in der BVV Tempelhof-Schöneberg